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Höchste Zeit für Selbstreflexion

Die Corona-Krise ist der Lackmustest für Führungskräfte. Mikromanagement, Befehl und Kontrolle oder Führung «by walking around» funktionieren nicht mehr. Leadership und Unternehmenskultur müssen neu ausgerichtet werden.


Tim Cook, der CEO von Apple (hier an der Präsentation neuer Apple-Produkte im September 2018), verkörpert eine neue Führungsgeneration - diejenige der Coachs und Teamplayer. Foto: WU XIAOLING / XINHUA / IMAGO

Bill Gates, der gefeierte Gründer von Microsoft, ein Genie und Philanthrop, ist jüngst jäh vom Podest gefallen. Nach Berichten über eine aussereheliche Affäre und sexuelle Avancen gegenüber Mitarbeiterinnen sowie Klagen über seinen Umgang mit Untergebenen steht er als Weiberheld und Machtmensch da. Einen Sturz hat auch der ehemalige Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz erlitten: Der ehemalige Starbanker muss sich wegen Betrugs, Veruntreuung, Urkundenfälschung und passiver Bestechung vor Gericht verantworten. Die Affäre Vincenz hat Raiffeisen schwer erschüttert. Im Frühjahr folgte der nächste Schlag: Der Raiffeisen-Präsident Guy Lachappelle stolperte über eine Liebesbeziehung und musste seinen Rücktritt bekanntgeben. Einen ähnlichen Reputationsschaden hinterliess auch der Abgang des ehemaligen CEO der Credit Suisse vor anderthalb Jahren: Machtdrang und ein autokratischer Führungsstil wurden Tidjane Thiam zum Verhängnis.


Super-CEO sind schädlich

Die Ursachen, die Führungskräfte scheitern lassen, sind meistens dieselben: verlorene Bodenhaftung, übersteigerter Geltungsdrang und Selbstüberschätzung. Forschungsergebnisse wie diejenigen der beiden Wissenschafter Ulrike Malmendier und Geoffrey Tate gelangen gar zu dem Schluss, dass selbstverliebte Charismatiker an der Spitze einer Organisation eine der Hauptursachen für unternehmerischen Niedergang darstellten. Superstar-CEO, die prominent im Rampenlicht stünden, schädigten langfristig Unternehmen und deren Aktionäre. Gerade die Corona-Pandemie hat die zentrale Bedeutung von Führung ein weiteres Mal vor Augen geführt. Sie ist schlicht der Lackmustest für Leadership. Eine an der Universität St. Gallen durchgeführte Umfrage lässt jedenfalls aufhorchen. Laut Heike Bruch, Professorin und Studienautorin, haben jüngst über 70 Prozent der Führungskräfte angegeben, dass sie in Zeiten des Umbruchs, wie jetzt, nicht sicher seien, ob sie führen könnten oder sollten. Vor der Pandemie lag der Anteil der verunsicherten Manager bei gut einem Drittel. Firmen in Schönwetterphasen zu führen, ist keine allzu grosse Herausforderung. Die Wirtschaft brummt, die Aufträge trudeln ein, und es gibt keine kniffligen Entscheidungen in Bezug auf Personalfragen oder Budgets zu treffen. Doch Führung in einer Pandemie, deren Ausgang bis heute niemand vorhersehen kann, gleicht einer Herkulesaufgabe. Von einem Tag auf den anderen kommt es darauf an, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Ferne zu motivieren und Leistung nicht durch Druck, sondern durch die Übertragung von Verantwortung zu generieren. Das erfordert ein hohes Mass an Vertrauen in die eigene Belegschaft. Es ist nicht so, dass die Krise plötzlich nach einem neuen Führungsstil gerufen hätte. Doch wenn die ganze Mannschaft ins Home-Office abwandert, ist Führung «by walking around» definitiv passé. Mikromanagement funktioniert nicht mehr. Den meisten Firmen ist die Umstellung gar nicht so schlecht gelungen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter scheinen in der ersten Phase des Lock-downs richtiggehend aufgeblüht zu sein. Ohne ständig im Büro den Befehlen und der Überwachung ihres Vorgesetzten ausgesetzt zu sein, mussten sie sich unternehmerisch betätigen, selbständig mitdenken und sich selbst organisieren. Dies scheint vor allem dort gut geklappt zu haben, wo die Vorgesetzten mit gutem Beispiel vorangingen, klare Vorgaben machten, mit den Untergebenen regelmässig das persönliche Gespräch suchten und Empathie zeigten. Viele Arbeitgeber waren erstaunt, wie reibungslos der Alltagsbetrieb weiter funktioniert hat und Kundenkontakte aufrechterhalten werden konnten. Doch die Euphorie hat deutlich nachgelassen. Je länger die Pandemie dauert, umso mehr treten auch die Schattenseiten der Entwicklung zutage: Vereinsamung, fehlende spontane Zusammentreffen, die der Kreativität förderlich wären, schwindender Teamgeist. Die ausserordentliche Lage hat gezeigt, dass der physische Kontakt für den betrieblichen Zusammenhalt und die Innovation unerlässlich ist. Arbeitgeber misstrauen zudem zusehends ihren Mitarbeitern. Sie fragen sich, ob ihre Untergebenen im Home-Office auch tatsächlich arbeiten, und setzen vermehrt auf Kontrolle. Einige Unternehmenschefs wie der SBB-CEO Vincent Ducrot wettern gar öffentlich gegen den sich im Home-Office ausbreitenden Schlendrian. Mitarbeitende hätten sich in Ferienparadiese zurückgezogen, Projekte seien verlangsamt worden, und insgesamt habe die Performance gelitten, sagte Ducrot vor ein paar Wochen. Dabei beklagte er vor allem die kürzer gewordene Traktandenliste für die Sitzung der Konzernleitung. Es stellt sich nun die Frage, ob Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der SBB tatsächlich dem Müssiggang frönen oder ob die Führung im Home-Office schlicht die Tuchfühlung mit den Untergebenen und den Bezug zu ihnen verloren hat.Wie auch andere Unternehmen haben die SBB jedenfalls die Home-Office-Pflicht schrittweise aufgehoben und die Bürobelegung erhöht.

Bei den meisten Firmen soll die Rückkehr möglichst rasch erfolgen. Doch sie vergessen dabei, Rückschau zu halten und die wichtigsten Lehren zu ziehen.


Der Schlüsselbegriff jeder guten Führung heisst Vertrauen. Denn es bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Beziehung – egal, ob beruflich oder privat.

Tatsächlich bietet die Corona-Krise Unternehmen und Führungskräften eine einzigartige Chance, Leadership, Kultur und Zusammenarbeit neu auszurichten.


Vertrauen ist effektiv

Der Schlüsselbegriff jeder guten Führung heisst Vertrauen. Denn es bildet die Grundlage für eine erfolgreiche Beziehung – egal, ob beruflich oder privat. Fehlendes oder unzureichendes Vertrauen stellt hingegen eine unüberwindbare Hürde dar: Es verhindert, dass aus einer Arbeitsgruppe ein Hochleistungsteam wird. Ein gemeinsamer Koch-Event, Apéros oder ein Nachmittag im Hochseilpark reichen dafür nicht aus. Es braucht Raum und Zeit abseits des Tagesgeschäfts sowie Vorgesetzte, die mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf Augenhöhe kommunizieren und Menschen und deren Leistungen wertschätzen. Vertrauensvolle Führungskräfte sind in der Lage, Verantwortung zu delegieren. Und dies ist mit der Rückkehr der Angestellten ins Büro oder auch bei hybriden Arbeitsmodellen, die sich in Zukunft durchsetzen dürften, dringend angesagt. Die lange Home-Office-Phase hat von vielen Angestellten ein hohes Mass an Eigenverantwortung gefordert. Die Rückkehr zum Befehl und -Kontrolle-Führungsstil ist deshalb kontraproduktiv. Mit- arbeitende müssen vermehrt in Entwicklungsprozesse einbezogen und bei Entscheidungen ins Boot geholt werden. Damit einher geht auch die Überwindung der Input-Kultur, bei der es bloss darum geht, wie lange und wie hart jemand gearbeitet hat. Wichtig ist vielmehr, welchen Beitrag jemand leistet und welche Ergebnisse erzielt werden.


Ausserdem bietet sich die Gelegenheit, Neues auszuprobieren und Dinge, die sich nicht bewährt haben, über Bord zu werfen. Konzepte und Arbeitsmethoden, die sich im Home-Office durchgesetzt haben, sollten auf die Bürowelt nach Corona übertragen werden. Dazu zählen effizientere Sitzungen und Arbeitsweisen sowie flexible Arbeitszeiten. Ebenso ergibt sich die Chance, eine agilere Unternehmenskultur und einen partizipativen Führungsstil zu entwickeln. Mit einem Appell an die Belegschaft, sich wieder vermehrt im Büro blicken zu lassen, ist die Angelegenheit jedenfalls nicht erledigt. Vorgesetzte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten sich gemeinsam Gedanken darüber machen, in welcher Umgebung welche Arbeit in Zukunft am besten erledigt werden kann, wie die Leistungen im Team und Arbeitsabläufe optimiert, neue Geschäftschancen genutzt oder neue Kunden gewonnen werden können. Dass dies keine leeren Managementfloskeln sind, veranschaulicht das Beispiel von Tim Cook. Der CEO von Apple scheint zwar kein Freund des Home-Office zu sein, was innerhalb des Unternehmens einige Kritik wie auch Kündigungen ausgelöst hat. Insgesamt steht er aber für Eigenschaften, die dem schillernden und tyrannischen Vorgänger Steve Jobs fehlten: Bescheidenheit, Zurückhaltung und der Wille zur Zusammenarbeit, wie der Journa-list Leander Kahney in seiner Tim-Cook-Biografie ausführt. Im Gegensatz zu Jobs, der stets das Rampenlicht gesucht habe, habe sich Cook um sämtliche Kleinarbeit, um Organisation und Krisenbewältigung gekümmert. Unter seiner Führung habe bei Apple eine kulturelle Revolution stattgefunden. Der lange Zeit unterschätzte Cook war damit erfolgreich: Apple stieg 2018 zum ersten Billionen- Dollar-Unternehmen der Welt auf und hat seinen Börsenwert seither wiederum verdoppelt. Cook verkörpert eine neue Führungsgeneration – diejenige der Coachs und Teamplayer. Allüren, Selbstüberschätzung und Machtdrang wird damit ein Riegel geschoben. Wenn Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und die untere Führungsriege verstärkt in die Verantwortung genommen werden, sind sie auch sichtbarer am Erfolg eines Unternehmens beteiligt. Das Team wird gestärkt. Die Bodenhaftung bleibt bestehen. In den Führungsetagen ist es höchste Zeit für eine Selbstreflexion. Der Zeitpunkt dafür wäre ideal.





NR_Höchste Zeit für Selbstreflexion in den Führungsetagen
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